Gemeinschaft und Lernen neu denken: Inspiriert von den Nooks

Vor Kurzem hatte ich ein tief bewegendes Gespräch mit Abhijit Sinha, dem Gründer von Project DEFY (Design Education for Yourself). Seine Arbeit und seine Vision haben mich inspiriert und zum Nachdenken gebracht: über Bildung, Gemeinschaft und darüber, wie wir als Gesellschaft wieder stärker zusammenfinden können. Im folgenden versuche ich wiederzugeben, was mir hängengeblieben ist.

Abhijit und sein Team haben weltweit sogenannte Nooks ins Leben gerufen – selbstgestaltete Lernräume, die in Indien und Afrika Menschen befähigen, ihre eigene Bildung zu gestalten. Diese Nooks sind mehr als nur Bildungsräume. Sie sind Orte, an denen Gemeinschaft und Selbstbestimmung im Mittelpunkt stehen.

Was macht die Nooks so besonders?

Die Nooks von Project DEFY sind weit mehr als nur alternative Lernräume. Sie schaffen transformative Gemeinschaftszentren, die darauf abzielen, Bildung zurück in die Hände der Menschen zu legen und sie mit ihrem Leben und den Bedürfnissen ihrer Umgebung zu verbinden.

Die Grundidee der Nooks ist einfach, aber revolutionär: Bildung soll nicht länger ein starres Fabrikmodell sein, das Menschen auf ökonomische Verwertbarkeit trimmt. Stattdessen geht es darum, Räume zu schaffen, in denen Menschen ihr Potenzial entfalten, ihre Interessen verfolgen und gemeinsam lernen können. Doch Nooks gehen noch weiter: Sie befähigen Gemeinschaften, konkrete Lösungen für lokale Herausforderungen zu entwickeln.

Abhijit brachte es treffend auf den Punkt: Im Westen dreht sich Bildung heute um den ökonomischen Nutzen eines Menschen. In der indischen Tradition ging es früher darum, echte Gemeinschaft zu leben. Genau diesen Gedanken möchten die Nooks wiederbeleben. Bildung dient hier nicht nur der individuellen Karriere, sondern der Stärkung des Miteinanders.

Durch projektbasiertes Lernen können Menschen in den Nooks Fähigkeiten entwickeln, die sie direkt anwenden können – sei es, um eigenständige Lebensgrundlagen zu schaffen oder Probleme ihrer Gemeinschaft zu lösen. Diese praktische Verbindung von Lernen und Handeln reduziert die Abhängigkeit von externen Lösungen und stärkt die Kreativität und das Verantwortungsbewusstsein vor Ort.

Wie funktionieren Nooks? Ein Blick auf den Zyklus des Lernens

Nooks folgen einem wiederkehrenden Lernzyklus, der die Gemeinschaft stärkt und individuelles Wachstum fördert:

1. Komfortzone erweitern durch Kurz-Projekte:
Zu Beginn stellen sich die Teilnehmer grundlegende Fragen:
- Was mache ich gerne?
- Was wollte ich schon immer ausprobieren?
- Was habe ich noch nie gemacht, weil ich dachte, ich kann es nicht?

Die Gemeinschaft wählt aus diesen Ideen Projekte aus, die die Teilnehmer herausfordern (z.B. Wir stellen selbst Schokolade her). Es geht darum, Neues zu wagen, die Komfortzone zu erweitern und gemeinsam erste Erfolge zu erleben. Gemeinsam arbeiten sie nun an diesen unterschiedlichen Projekten und suchen Informationen, erweitern ihr Wissen und kommen in die Handlung.

2. echte Interessen verfolgen durch Langzeit-Projekte:
Nach drei Wochen reflektieren sie ihre Erfahrungen. Diese Phase ist entscheidend:
- Was habe ich gelernt?
- Was hat mich motiviert?
- Welche Ziele möchte ich als Nächstes verfolgen?

Die Teilnehmer definieren anschliessend grössere, selbstgewählte Projekte, die sie über einen Zeitraum von etwa 3 Monaten verfolgen und entwickeln konkrete Pläne, um sie umzusetzen.

Planung und Umsetzung:
Nachhaltigkeit ist ein zentraler Wert. Bevor ein Projekt startet, wird sorgfältig geplant:
- Was können wir kostenlos beschaffen?
- Was können wir ausleihen oder selbst herstellen?
- Was muss wirklich gekauft werden?

In Gruppen arbeiten die Teilnehmer gemeinsam an ihren Zielen und stärken dabei nicht nur ihre Fähigkeiten, sondern auch ihre Verbindung zueinander.

3. Präsentation und Wiederholung:
Die Ergebnisse werden in der Gemeinschaft präsentiert – ein Moment, der Stolz und Zugehörigkeit stärkt. Danach beginnt der Zyklus von vorn.

Grundausstattung eines Nooks in Indien

Die Nooks von Project DEFY in Indien sind Lernräume, die es Gemeinschaften ermöglichen, Bildung eigenständig und kreativ zu gestalten. Die folgende Grundausstattung wird empfohlen:

Physischer Raum:
- Mindestens 100 Quadratmeter, unterteilt in verschiedene Sektionen: Arbeitsstationen, Werkzeugbereiche, Materialien und fertige Projekte.
- Leicht zugänglich mit grundlegenden Annehmlichkeiten wie Strom, Wasser und sanitären Einrichtungen.

Werkzeuge und Materialien:
- Basisausstattung an Handwerkzeugen (z. B. Schraubendreher, Sägen, Handbohrer).
- Elektronische Komponenten und Programmierboards.
- Kunst- und Bastelwerkzeuge (z. B. Heißklebepistolen) sowie Schreibwaren.
- Wiederverwertbare Materialien für kreative Projekte.

Laptops:
- Etwa 10 Laptops für eine Nutzergruppe von 50–60 Personen.
- Die Geräte sollten nicht älter als drei Jahre sein und internetfähig.

Internetverbindung:
- Eine stabile und leistungsfähige Verbindung ist ideal, um Zugang zu Online-Ressourcen zu gewährleisten.
In Regionen ohne Internet können alternative Lösungen entwickelt werden.

Finanzierung:
- Die Einrichtung und der Betrieb eines Nooks im ersten Jahr erfordern etwa 1.200.000 INR (ca. 16.000 CHF).
In den Folgejahren reduzieren sich die jährlichen Betriebskosten auf etwa ein Drittel dieser Summe (ca. 5.300 CHF).

Gemeinschaft:
Eine engagierte und aktive Gemeinschaft, die den Nook nutzt, ist essenziell.

Diese Ausstattung bildet die Grundlage für einen funktionierenden Nook und kann je nach den Bedürfnissen und Ressourcen der jeweiligen Gemeinschaft angepasst werden.

Was kann daraus lernen?

Die Nooks zeigen, wie Lernen und Gemeinschaft Hand in Hand gehen können. Es geht nicht nur darum, Fähigkeiten zu erwerben, sondern auch darum, Beziehungen aufzubauen, Verantwortung zu übernehmen und eine tiefere Verbindung zu anderen Menschen zu schaffen.

Ein zentraler Punkt, den Abhijit betonte: Echte Gemeinschaft entsteht nicht durch Events, sondern durch Kontinuität. Menschen müssen regelmässig zusammenkommen, sich gegenseitig unterstützen und auch in Phasen der Ruhe oder Langeweile Bestand haben. Gerade dieser letzte Punkte hat mich persönlich sehr angesprochen.

In einem nächsten Beitrag berichte ich darüber, wie meine Frau und ich das gerne in unserer lokalen Gemeinde umsetzen möchten.

Weiterführende Links

Auf den Website findest du weitere Informationen: https://projectdefy.org

Abhijit Sinha postet auch selbst immer wieder auf LinkedIn von ihrer Arbeit: https://www.linkedin.com/in/sinhaabhijit/